Der Krimi und die Frauen…
Hat die Krimibranche ein Genderproblem?
Du möchtest als deutschsprachige Frau in der Krimibranche ganz oben mitschwimmen? Mein Tipp: Werde Opfer in deinem eigenen Roman. Da hast du die größten Chancen, eine Top-Position im Krimi zu erhalten.
Lass dich möglichst grausam töten, gerne ein wenig verstümmeln und achte darauf, dass das Blut kunstvoll aus den Seiten spritzt. Sollte dir die Opferrolle nicht zusagen und eine mittelprächtige Position genügen, könntest du auch Täterin werden. Ich habe hierzu mal eine privat-empirische Studie der von mir angesehenen Fernsehkrimis gemacht und kam auf eine Gewaltverbrecherinnenquote von knapp unter 50%, was, wie im übrigen auch deine potentielle Rolle als Vergewaltigungs-, Verstümmelungs-, und Mordopfer, keinesfalls der amtlichen Kriminalstatistik entspricht.Tatsächlich, also im real life, ist nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass du als Mann Opfer eines Gewaltverbrechen wirst, etwa doppelt so hoch[1] – abgesehen von häuslicher Gewalt, dort dreht sich die Wahrscheinlichkeit nicht nur um, sie erhöht sich auch noch signifikant zu ungunsten der Frau. Aber häusliche Gewalt … uhhh, das ist so unsexy, wer will in seiner kostbaren Freizeit schon damit konfrontiert werden?
Trügerisch auch das Bild der fiesen Mörderin. Seit 1880 stellen Frauen zwar zwischen 10% und 25%[2] der straffälligen Mitbürger:innen, im Strafvollzug (wohin wir die überführte Mörderin schicken würden) ist der Frauenanteil jedoch nur bei etwa 5%.[3]Verstörende Fakten, wissen wir doch, dass gerade im deutschen Krimi der Realitätsbezug hoch gehandelt wird. Jedenfalls, wenn du als deutschsprachige Krimiautorin auf einen angemessen dotierten Verlagsvertrag, einen Preis oder eine Besprechung im Feuilleton hoffst.
Warum aber sehen wir uns überhaupt den Inhalt des Krimis an? Wer und wie im Krimi killt, stirbt und aufklärt ist doch total egal. Hauptsache, die Geschichte ist realistisch (ach ja?) und zieht Leser:innen in den Bann.
Nein. Es ist nicht egal. Denn Geschichten, ob nun gelesen, gehört oder geguckt, beeinflussen unsere Wahrnehmung der Welt.
Nehmen wir als Beispiel die Vergewaltigung: Statistisch gesehen kommt die Gefahr zumeist in Person des „undetected rapists“ – einem Bekannten, Freund oder Partner, der im Nachklang nicht angezeigt wird. Laut David Lisak von der University of Massachusetts Boston, führt die Kombination von ‘undetected rapists’ und der verfälschten Darstellung von Vergewaltigungen durch unbekannte Gewalttäter zu “False stereotypes and misconceptions about who rapists are and how rapists behave (which) continue to hamper the criminal justice system.”[4] Kurz der Selbsttest: Wovor ist die Angst größer? Dem Ausflug mit dem Bekannten in den Club? Oder vor dem extrem unwahrscheinlichen Mann mit der ranzigen Skimaske, der beim Heimweg spät am Abend aus dem Gebüsch springen könnte?
Die Autorin Bridget Lawless hat 2018 den Staunch Prize ins Leben gerufen, der nur an Krimis vergeben wird, die folgendem Kriterium genügen: keine Frau wird geschlagen, gestalked, missbraucht, vergewaltigt oder umgebracht.[5] Ein Preis, über den hitzig debattiert wurde, und ich kann die Stimmen nachvollziehen, die bemäkeln, dass ein Krimi, der Gewalt an Frauen verschweigt, die Realität nicht widerspiegelt. Allerdings gilt dies genauso für Krimis, die realitätsferne, voyeuristische Gewalt als Plotzünder benutzen, und damit von den tatsächlichen Gefahren ablenken und Frauen in einer stereotypen Rolle des ewigen Opfers verharren lassen.
Wir stoßen also bereits zwischen den Buchdeckeln auf ein akutes Genderproblem, und dabei haben wir uns noch gar nicht die Gesamtverteilung der Rollen angesehen, oder die Heldenquote, die, Achtung Spoiler, die Heldinnenquote beschämt rosa verblassen lässt.
Dank der Studie der Initiative #frauenzählen[6] und der Studie “Sichtbar unsichtbar” von Kirsten Reimers[7] betrachten wir als nächstes Sichtbarkeit und Preise. Alle Zahlen stammen aus den oben genannten und unten verlinkten Studien. Die Auszählung der Rezensionen der #frauenzählen-Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Diskrepanz bei Rezensionen im Krimibereich absolute Spitzenausschläge verzeichnet: 76% der rezensierten Krimis stammten von Männern, wenn Männer rezensierten, lag die Männerquote sogar bei peinlichen 82%. Selbst bei den Rezensentinnen schlug beim Krimi der Pegel zu den Männern hin: mit einer Quote von 66%. Interessanterweise war im Belletristikbereich bei Kritikerinnen diese Schieflage nicht anzutreffen – dort rezensierten wenigstens die Frauen einigermaßen ausgewogen Bücher von Autoren und Autorinnen. So weit so schlecht für dich als Krimiautorin, beziehungsweise, gut für dich als Krimiautor.
Brechen wir das Ganze dann noch in Lizenz versus Originaltitel auf, bezeugen wir das Massaker an der Sichtbarkeit deutschsprachiger Autorinnen: Deren Krimis schaffen es mit traurigen 9% nicht einmal in den zweistelligen Zahlenraum. Und da die Krimiautorin nun opfermäßig am Boden liegt, treten wir noch mal nach und hacken ihrer durchschnittlichen Besprechungslänge 100 Wörter zugunsten des Kollegen ab[8].
Genug? Aber nicht doch! Schleifen wir die geprügelte Originalsprachautorin nun weiter zur Krimibestenliste, wo wir ihr das Messer bis zum Schaft zwischen die Rippen rammen, mit kaum aussprechbar demütigenden 7% der belegten Plätze. Und weil es gerade so Spaß macht, verstümmeln wir zu guter Letzt ihre Leistung mit den Ehrungen der lang etablierten Krimipreise, die wir ihr kurz vor die Nase halten, bevor wir sie dann der natürlichen Weltordnung der Krimibranche folgend, dem männlichen Kollegen verleihen.
Ich wollte von meiner Kollegin Stefanie Gregg wissen, woher ihrer Meinung nach diese eklatante Diskrepanz wohl komme. „Aus uralten Gründen“, sagte Stefanie, „bei denen Männern immer mehr Aufmerksamkeit und Qualität zugesprochen wurde, hat sich dieses Bild tief in das Unterbewusstsein eingeschlichen. Die großen Literaten waren immer (fast) nur Männer. – Das muss doch dann auch weiterhin so sein. Zudem dominieren nach wie vor die Männer die Feuilletons und die Preis-Jurys. Und dies deutlich.“
Na dann … wie beruhigend, dass Mann sich wenigsten im Krimibereich noch auf die gute, alte Ordnung der Welt verlassen kann. Der Glauser-Preis, der Deutsche Krimipreis, der Ripper Award und der Burgdorfer Krimipreis … sie wissen einfach noch um die natürliche Überlegenheit des vom Manne verfassten Wortes. Oder … oops, liegt es vielleicht gar nicht nur an der Überlegenheit der männlichen Autoren als viel mehr an unausgewogenen Jurys (z.B. Krimibestenliste: 32% Jurorinnen, Deutscher Krimipreis: 29% Jurorinnen, aber:Glauser Debüt: 53%) und der Unfähigkeit männlicher Juroren, sich mit weiblichen Protagonisten zu identifizieren? In England untersuchte die Autorin Nicola Griffith den Inhalt preisgekrönter Bücher und fand heraus, dass unabhängig von dem Geschlecht des/r Schreibenden, Bücher über männliche Protagonisten deutlich mehr Preise gewinnen als Bücher über weibliche, und dass dieses Ungleichgewicht analog zum Prestige des Preises steigt.[9]
„Dann ist es doch nicht einzig die Qualität, die zählt?“, frage ich Stefanie.
„Das ist einer der Sätze“, sagt Stefanie, „die ich am allerliebsten höre… – und große Mühe habe, dabei noch ruhig zu erklären, warum dies ein Totschlagargument und inhaltlicher Unsinn ist. Denn er bedeutet nichts anderes als: offensichtlich können Frauen in Deutschland nicht schreiben, auf jeden Fall nicht gut, nicht preiswürdig. – Das jedoch glaube ich persönlich nicht.“
Auch ich glaube das nicht und bin in bester Gesellschaft, denn so denken auch die Juror:innen des Radio-Bremen-Krimipreises und der neuen, frischen, auch Frauen geneigten Krimipreise wie zum Beispiel der Crime Cologne Award.
Wir fassen zusammen: Im Krimi werden Frauen gerne in voyeuristischen, unrealistischen Opferrollen dargestellt, während Männer mehr Aufmerksamkeit, Preise und Plätze auf der Krimibestenliste einheimsen.
Rufen wir uns in Erinnerung: Medien prägen unsere Sicht auf die Gesellschaft. Die männliche Sicht bekommt mehr Aufmerksamkeit und Ehrung. Es spielt eine Rolle, wer in einer Geschichte Opfer und wer Held:in ist. Daher: ran an die Tasten! Löst euch von alten Klischees, schreibt Krimis mit starken Frauen, und damit meine ich nicht, einem männlich gedachten Helden eine weibliche Identität zu verpassen. Kauft und lest mehr Krimis von Frauen! Rezensiert mehr Krimis von Frauen! Und seid fair, wenn es um Preise und Sichtbarkeit geht!
Erstveröffentlichung: TAT Zeuge Syndikat, 2021, Janet Clark
[1]Männer häufiger Gewaltopfer als Frauen, 14.04.2016, Märkische Allgemeine, Marion von Imhoff, https://www.maz-online.de/Lokales/Brandenburg-Havel/Maenner-haeufiger-Gewaltopfer-als-Frauen
[2] Die Entwicklung der Kriminalität nach Geschlecht und Alter, Dietrich Oberwittler, Bundeszentrale für Politische Bildung, 28.1.2016, https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/deutschland-in-daten/220319/geschlecht-und-alter
[3] Frauenkriminalität, Wikipedia, Zahlen von 2011, https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenkriminalität
[4] David Lisak, Ph.D. University of Massachusetts Boston, Rape Fact Sheet, March 2002 https://www.binghamton.edu/counseling/documents/RAPE_FACT_SHEET1.pdf
[5] The Guardian, “Prize launched for thrillers that avoid sexual violence against women”, Alison Flood, Jan. 26th 2018
[6] #Frauenzählen, Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb. J. Clark, C. Collado Seidel, N. George, V. Henze, K.Reimers; in Zusammenarbeit mit E.Prommer, Institut für Medienforschung der Universität Rostock, http://frauenzählen.de/docs/Literaturkritik%20und%20Gender_08_09_18.pdf
[7] Sichtbar unsichtbar – Krimiautorinnen und Krimikritikerinnen im deutschsprachigen Feuilleton (Print) und bei genrespezifischen Preisen, Kirsten Reimers in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck, 12.2020, https://www.uibk.ac.at/literaturkritik/zeitschrift/reimers_sichtbarkeit.pdf
[8] Zahlen von 2018, siehe Studie Sichtbar unsichtbar, Kristen Reimers
[9]Cassie Werber für QUARTZ (2015): https://qz.com/417819/theres-a-gender-gap-in-prize-winning-literature-not-between-the-authors-but-the-characters/; Stand: 17.5.2021