Pistole mit Fadenkreuz, Adobe Stock
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Der Krimi und die Frauen…

Hat die Krimibranche ein Genderproblem?

Nehmen wir als Beispiel die Vergewaltigung: Statistisch gesehen kommt die Gefahr zumeist in Person des „undetected rapists“ – einem  Bekannten, Freund oder Partner, der im Nachklang nicht angezeigt wird. Laut David Lisak von der University of Massachusetts Boston, führt die Kombination von ‘undetected rapists’ und der verfälschten Darstellung von Vergewaltigungen durch unbekannte Gewalttäter zu “False stereotypes and misconceptions about who rapists are and how rapists behave (which) continue to hamper the criminal justice system.”[4] Kurz der Selbsttest: Wovor ist die Angst größer? Dem Ausflug mit dem Bekannten in den Club? Oder vor dem extrem unwahrscheinlichen Mann mit der ranzigen Skimaske, der beim Heimweg spät am Abend aus dem Gebüsch springen könnte?
Die Autorin Bridget Lawless hat 2018 den Staunch Prize ins Leben gerufen, der nur an Krimis vergeben wird, die folgendem Kriterium genügen: keine Frau wird geschlagen, gestalked, missbraucht, vergewaltigt oder umgebracht.[5] Ein Preis, über den hitzig debattiert wurde, und ich kann die Stimmen nachvollziehen, die bemäkeln, dass ein Krimi, der Gewalt an Frauen verschweigt, die Realität nicht widerspiegelt. Allerdings gilt dies genauso für Krimis, die realitätsferne, voyeuristische Gewalt als Plotzünder benutzen, und damit von den tatsächlichen Gefahren ablenken und Frauen in einer stereotypen Rolle des ewigen Opfers verharren lassen.
Wir stoßen also bereits zwischen den Buchdeckeln auf ein akutes Genderproblem, und dabei haben wir uns noch gar nicht die Gesamtverteilung der Rollen angesehen, oder die Heldenquote, die, Achtung Spoiler, die Heldinnenquote beschämt rosa verblassen lässt.


Dank der Studie der Initiative #frauenzählen[6] und der Studie “Sichtbar unsichtbar” von Kirsten Reimers[7] betrachten wir als nächstes Sichtbarkeit und Preise. Alle Zahlen stammen aus den oben genannten und unten verlinkten Studien. Die Auszählung der Rezensionen der #frauenzählen-Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Diskrepanz bei Rezensionen im Krimibereich absolute Spitzenausschläge verzeichnet: 76% der rezensierten Krimis stammten von Männern, wenn Männer rezensierten, lag die Männerquote sogar bei peinlichen 82%. Selbst bei den Rezensentinnen schlug beim Krimi der Pegel zu den Männern hin: mit einer Quote von 66%. Interessanterweise war im Belletristikbereich bei Kritikerinnen diese Schieflage nicht anzutreffen – dort rezensierten wenigstens die Frauen einigermaßen ausgewogen Bücher von Autoren und Autorinnen. So weit so schlecht für dich als Krimiautorin, beziehungsweise, gut für dich als Krimiautor.

Großer Mann kleine Frau, Adobe Stock

„Dann ist es doch nicht einzig die Qualität, die zählt?“, frage ich Stefanie.
„Das ist einer der Sätze“, sagt Stefanie, „die ich am allerliebsten höre… – und große Mühe habe, dabei noch ruhig zu erklären, warum dies ein Totschlagargument und inhaltlicher Unsinn ist. Denn er bedeutet nichts anderes als: offensichtlich können Frauen in Deutschland nicht schreiben, auf jeden Fall nicht gut, nicht preiswürdig. – Das jedoch glaube ich persönlich nicht.“

Auch ich glaube das nicht und bin in bester Gesellschaft, denn so denken auch die Juror:innen des Radio-Bremen-Krimipreises und der neuen, frischen, auch Frauen geneigten Krimipreise wie zum Beispiel der Crime Cologne Award.

Rufen wir uns in Erinnerung: Medien prägen unsere Sicht auf die Gesellschaft. Die männliche Sicht bekommt mehr Aufmerksamkeit und Ehrung. Es spielt eine Rolle, wer in einer Geschichte Opfer und wer Held:in ist. Daher: ran an die Tasten! Löst euch von alten Klischees, schreibt Krimis mit starken Frauen, und damit meine ich nicht, einem männlich gedachten Helden eine weibliche Identität zu verpassen. Kauft und lest mehr Krimis von Frauen! Rezensiert mehr Krimis von Frauen! Und seid fair, wenn es um Preise und Sichtbarkeit geht!

Erstveröffentlichung: TAT Zeuge Syndikat, 2021, Janet Clark

[1]Männer häufiger Gewaltopfer als Frauen, 14.04.2016, Märkische Allgemeine, Marion von Imhoff, https://www.maz-online.de/Lokales/Brandenburg-Havel/Maenner-haeufiger-Gewaltopfer-als-Frauen
[2] Die Entwicklung der Kriminalität nach Geschlecht und Alter, Dietrich Oberwittler, Bundeszentrale für Politische Bildung, 28.1.2016, https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/deutschland-in-daten/220319/geschlecht-und-alter
[3] Frauenkriminalität, Wikipedia, Zahlen von 2011, https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenkriminalität
[4] David Lisak, Ph.D. University of Massachusetts Boston, Rape Fact Sheet, March 2002 https://www.binghamton.edu/counseling/documents/RAPE_FACT_SHEET1.pdf
[5] The Guardian, “Prize launched for thrillers that avoid sexual violence against women”, Alison Flood, Jan. 26th 2018
[6] #Frauenzählen, Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb. J. Clark, C. Collado Seidel, N. George, V. Henze, K.Reimers; in Zusammenarbeit mit E.Prommer, Institut für Medienforschung der Universität Rostock, http://frauenzählen.de/docs/Literaturkritik%20und%20Gender_08_09_18.pdf
[7] Sichtbar unsichtbar – Krimiautorinnen und Krimikritikerinnen im deutschsprachigen Feuilleton (Print) und bei genrespezifischen Preisen, Kirsten Reimers in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck, 12.2020, https://www.uibk.ac.at/literaturkritik/zeitschrift/reimers_sichtbarkeit.pdf
[8] Zahlen von 2018, siehe Studie Sichtbar unsichtbar, Kristen Reimers
[9]Cassie Werber für QUARTZ (2015): https://qz.com/417819/theres-a-gender-gap-in-prize-winning-literature-not-between-the-authors-but-the-characters/; Stand: 17.5.2021